"Wir haben uns für jede und jeden einzelnen so sehr gefreut!"
- ROTE NASEN Interviews
Marlies Franz im Interview über den ROTE NASEN Sommercircus in Kärnten.
In Ledenitzen hieß es unlängst zum zweiten Mal in Folge „Manege frei“. Wir haben mit Marlies Franz, Koordinatorin der ROTE NASEN Emergency Smile Projekte in Kärnten, über die Arbeit und ihre Highlights beim Sommercircus gesprochen.
Seit 2017 schlägt der ROTE NASEN Sommercircus nun bereits im Juli und August österreichweit seine Zelte auf, um gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen ihre ganz persönliche Zirkusshow zu erarbeiten und auf die Bühne zu bringen. Das Einzigartige: Mit dabei sind sowohl Kinder und Jugendliche mit Fluchterfahrung, als auch junge Teilnehmer*innen aus der jeweiligen Region.
Du warst beim Sommercircus im Juli in Ledenitzen in Kärnten mit dabei, wer hat da mitgemacht?
Seitens ROTE NASEN waren wir ein Team von sieben Kolleg*innen aus verschiedenen Bundesländern, die dieses Projekt teilweise schon mehrere Jahre begleiten und teilweise erst seit kurzem, oder überhaupt zum ersten Mal dabei sind. Der Kärntner Verein Together hat uns bei seinem Wohnprojekt „Live-Together“ in Ledenitzen den Zeltplatz und die nötige Infrastruktur zur Verfügung gestellt.
Die teilnehmenden Kinder und Jugendlichen kamen zur Hälfte aus dieser Wohngemeinschaft, die auch geflüchtete ukrainische Familien beherbergt, und die andere Hälfte aus der Bundesbetreuungseinrichtung für unbegleitete Minderjährige mit Fluchterfahrung. Insgesamt waren es 24 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 18 Jahren, mit welchen wir die Woche gestaltet haben. Es war eine bunte Mischung aus vielen Ländern: Afghanistan, Syrien, Somalia, Türkei, Iran, Ukraine und Kindern aus der Umgebung.
Wie kann man sich den Workshop im Rahmen des Sommercircus vorstellen?
Fünf Tage lang bieten wir für maximal 30 Kinder und Jugendliche einen Workshop an, der am letzten Tag mit einer großen Vorstellung für geladene Gäste seinen Höhepunkt findet. Wir beginnen die Woche mit einer kleinen Show, die das Zirkusteam für die Teilnehmer*innen zum Besten gibt, damit sie ein Bild davon bekommen, was sie in dieser Woche erwartet. Einige Kinder waren noch nie in einem Zirkus.
Hier im Workshop treffen nicht nur neue Gesichter aufeinander, sondern auch verschiedene Sprachen, Kulturen, Geschichten und Schicksalsschläge. Von Anfang an versuchen wir mit ihnen eine Gemeinschaft zu bilden, welche die sprachlichen und kulturellen Barrieren schnell überwindet.
Dann werden unseren zukünftigen Artist*innen die unterschiedlichen Disziplinen, wie Jonglage, Flowersticks, Diabolo, Akrobatik, Seiltanz, Zauberei und vieles mehr vorgestellt und sie dürfen sie auch selbst ausprobieren. Dabei arbeiten wir in Gruppen und auch mit den einzelnen Kindern. Nach und nach mischen sich die Kinder untereinander und bilden Teams, die an einem Kunststück arbeiten.
Am Ende des Tages machen wir immer eine kleine Tagesabschluss-Show mit ihnen, damit sie sich gegenseitig zeigen können, was sie gelernt haben und Mut gewinnen sich und ihre Talente zu präsentieren. Das Wichtigste dabei ist immer, dass es möglichst spielerisch gestaltet ist und wir miteinander Spaß haben. So arbeiten wir uns jeden Tag mehr zu der großen Vorstellung am letzten Tag hin.
Welche Rolle habt ihr dabei als Künstler*innen?
Unsere eigentliche Aufgabe ist als Clowns die Menschen im Krankenhaus zu besuchen. Hier in diesem Projekt sind wir das Zirkusteam, welches das Zelt auf- und abbaut und den Workshop mit den Kindern gestaltet.
Wir haben unsere rote Nase nicht auf, aber dennoch arbeiten wir mit der gleichen Offenheit, Neugierde und Verspieltheit wie auch mit unserer Clownfiguren. Wir sind neugierig, jedes noch so kleine Talent zu finden und es groß zu machen, damit man damit auf der Bühne glänzen kann. Wir freuen uns über jeden Erfolg und sind immer offen für das, was gerade für die Gruppe wichtig ist und für jede und jeden einen Platz in der Zirkusgemeinschaft zu finden.
Wir bringen unterschiedliche Fähigkeiten mit, damit wir das gesamte Spektrum von Organisation und künstlerischen Angeboten abdecken können. So haben wir im Team auch unterschiedliche Aufgaben, wie den/die Zirkusdirektor*in, Zeltmeister*in, Workshopleiter*in und künstlerische Leitung.
Wie ging es den Kindern und Jugendlichen dabei, die Zirkuskunststücke zu lernen?
Die meisten Kinder sind sehr fasziniert von den verschiedenen Angeboten und vieles wird ausprobieret. Manches Mal entdecken sie selbst ein Talent an sich, von dem sie bisher nichts gewusst haben. Wir helfen ihnen auf spielerischem Weg, die einzelnen Kunststücke zu erlernen und zu einem Erfolg zu kommen.
Wir haben auch ein starkes Augenmerk darauf, was die Kinder selbst mitbringen, wie zum Beispiel Musikalität oder einen Sinn für Humor – es muss nicht immer ein Angebot von uns sein. Wichtig ist, dass sich jedes Kind gesehen fühlt und seinen Platz findet. Motivation spielt auch eine große Rolle. Ein Lernprozess ist meistens von Fehlern und Misserfolg geprägt. Da entsteht auch Frustration. Hier gilt es den Fokus auf die kleinen Erfolge zu lenken, kreative Lösungen zu finden und zu zeigen, dass man über sich selbst lachen kann. Darin sind wir sehr gute Vorbilder.
Je näher der Tag der Aufführung kommt, desto ernster nehmen sie ihr Training oder Aufgabe und beginnen sich gegenseitig zu unterstützen. Der Applaus zum Schluss soll aber für sie selbst stehen, für ihren Mut hinauszugehen und sich zu zeigen, unabhängig welches Kunststück sie vorführen.
Zum Abschluss findet die finale Vorführung vor Publikum im großen Zirkuszelt statt, wie haben sich die Kinder und Jugendlichen dabei gefühlt?
Für den letzten Workshoptag richtet das Zirkusteam das Zelt festlich her. Schweinwerfer und Girlanden werden aufgehängt, der Bühnenvorhang mit Goldstoff dekoriert, die Manege mit dem Publikumsbereich werden aufgestellt.
So empfangen wir unsere Artist*innen am Morgen. Spätestens dann haben sie eine Ahnung davon, was auf sie zukommt und leichte Aufregung kommt auf. Sie bekommen ihre Kostüme, der Ablauf wird besprochen und ein paar letzte Proben finden noch statt. Manche Kinder können nicht genug auf der Bühne stehen und andere verlässt der Mut. Wir machen keinen Druck und versuchen herauszufinden woran es liegt und welche Unterstützung sie brauchen. Bei einem Jungen machen wir spontan aus, dass jemand aus dem Zirkusteam mit ihm gemeinsam die Nummer gestaltet, ein anderer entscheidet sich, dass er doch lieber nur im Publikum sitzen will. Alles ist in Ordnung – es soll ein gemeinsames Fest werden.
Am Ende war es dann doch so, dass eben dieser Junge, als er seine Kolleg*innen auf der Bühne gesehen hat, doch hinausgegangen ist und seine Nummer mit den Flowersticks und sogar eine Zugabe am Seil gemacht hat. Alle Artist*innen warteten während der Show im Publikum, bis sie drangekommen sind, um sich gegenseitig zuschauen zu können.
Den Moment des Applauses haben wir mit den Kindern während der Woche oft geübt, dass sie ihn genießen sollen und dass er ein Geschenk ist. Wir haben uns für jede und jeden einzelnen so sehr gefreut, als wir ihre strahlenden Gesichter in der Manege sahen. Sie waren alle so stolz auf sich und wollten danach gar nicht gehen. Tränen der Freude sind bei uns, den Artist*innen und den Zuschauer*innen geflossen. Zur Erinnerung bekam jedes Kind ein Foto von sich vor dem roten Zirkusvorhang mit einer roten Nase.
Was war dein persönliches Highlight?
Im Nachhinein würde ich sagen, dass die gesamte Woche ein Highlight war. Es ist ein großes Ganzes. Es war natürlich auch anstrengend, weil das Wetter sehr heiß war oder es in den Nächten die Stürme gegeben hat, wo wir nicht sicher waren, ob das Zelt halten würde. Wir mussten unsere Pläne immer wieder spontan verwerfen, weil Kinder krank wurden oder die Gruppe andere Bedürfnisse hatte, auf die wir eingehen wollten. Das alles hat an unseren Kräften gezerrt.
Aber am Schluss zu sehen, wie jedes einzelne Kind auf der Bühne strahlt und stolz auf sich ist und beim Abschlusskreis zu spüren, dass wir in dieser Woche wirklich zusammengewachsen sind, macht mich extrem glücklich und stellt alle Mühen in den Schatten. Nachdem ich dieses Projekt schon seit Anfang an aktiv begleite, habe ich inzwischen das Vertrauen in das Gelingen, dass wir damit positive Anker setzen können. Niemand kann ihnen das wieder wegnehmen.
Copyright Bilder: Elke Schwarzinger elffotografie