Von unerwarteten Begegnungen und spontanen Walzer Tänzen

31.März 2021
  • ROTE NASEN Interviews

Martina Haslhofer besuchte als Clownin Rosa über zwölf Jahre regemäßig die Gerontopsychiatrie für Erwachsene (+55) in der Klinik Penzing. In einem Interview erzählt sie von unerwarteten und berührenden Begegnungen.

Was ist das Besondere an den Besuchen auf psychiatrischen Stationen für Erwachsene?

Wir erleben im Bereich Psychiatrie oft unerwartete Begegnungen und Situationen. Es gibt dort natürlich Menschen, die sich aufgrund ihrer Erkrankung anders verhalten als man das erwarten würde, soziale Normen sind eher außer Kraft als in anderen Bereichen des Gesundheitssystems. Wir treffen beispielsweise auf Menschen mit einer bipolaren Störung, es kann für uns Clowns sehr überraschend sein, wie sie auf uns reagieren. Je nachdem ob sie sich gerade in einer depressiven oder manischen Phase befinden ist die Reaktion auf den Kontakt zu einem Clowns ganz unterschiedlich. Es ist schon passiert, dass ein Mensch, den wir bisher als sehr zurückgezogen empfunden hatten, plötzlich im Gang auf uns zukommt und uns zum Walzertanzen auffordert. Auf einer psychiatrischen Station gibt es einerseits Menschen, die schneller und stärker auf unser clowneskes Spiel reagieren, die so angetrieben sind,  dass wir sie beruhigen und mit ihnen zur Ruhe finden, als auch Menschen, bei denen wir versuchen durch unsere Interaktion etwas Lebendigkeit heraus zu kitzeln, weil sie krankheitsbedingt völlig teilnahmslos sind. Wir haben das Glück, dass uns beides immer wieder gelingt.

Wenn wir mit Menschen in Kontakt kommen, die vor allem somatisch erkrankt sind, sind bestimmte Reaktionsmuster für uns mit großer Wahrscheinlichkeit vorhersehbar. Das ist in psychiatrischen Stationen eben anders. Da kommt es oft zu Überraschungen. Der Kontakt kann sehr viel näher sein, teilweise haben PatientInnen das Bedürfnis nach Berührung oder einfach nach Freundschaft. Das ist auch ein Unterschied zu unseren anderen Clownbesuchen. Wir starten die Interaktion mit Menschen mit psychischen Erkrankungen aber anfangs immer sehr behutsam und vorsichtig, es soll keinerlei Überforderung oder Stress für die Patient*innen sein.

Wir Clowns sind bei dieser Arbeit sehr wachsam und haben unsere Antennen bei den Patient*innen um zu erkennen, wie es ihnen jetzt in diesem Moment geht. Natürlich ist auch die Zusammenarbeit und Kooperation mit dem Klinikpersonal ganz wichtig, um zu wissen, wer heute zu diesem Zeitpunkt einen Clownbesuch bekommen soll und wer lieber heute nicht.

Welche Techniken wendet ihr an, um mit Patient*innen in psychiatrischen Einrichtungen in Kontakt zu treten?

Da wir viele Langzeitpatient*innen besuchen, die über Monate auf der Station leben, integrieren wir oft aktuelle, jahreszeitliche, oder auch emotional interessante Themen, wie zum Beispiel das Thema Liebe, Hochzeit aber auch mal Fußball WM oder Sommerurlaub in unser Spiel.

Wir versuchen die Welt von draußen mit in den stationären Kontext zu bringen. Wenn zum Beispiel Starmania läuft, binden wir das in unseren Besuch mit ein. Einmal wollte ich unbedingt bei Dancing Stars teilnehmen und habe mir dann Tipps für mein Auftrittskostüm geben lassen. An einem anderen Tag war unser Spiel, dass wir direkt vom Opernball in der Vornacht kamen und erzählten dann genau, was wir erlebt und welche Promis wir getroffen hatten. Im Aufenthaltsraum habe ich dann stolz demonstriert, was und wie ich dort getanzt habe. An diesen speziellen Tagen haben wir natürlich auch unser Kostüm dementsprechend angepasst. Das sind Themen, die sehr gut funktionieren, für die Menschen sehr am aktuellen Zeitgeschehen interessiert sind.

Warum sind ROTE NASEN auf psychiatrischen Stationen wichtig?

Oft fühlen sich die Patient*innen aufgrund einer psychischen Erkrankung extrem unsicher. Der Clown, der in seiner ganz eigenen Welt lebt, kann für die Patient*innen zum Verbündeten werden und ihnen etwas von dieser Unsicherheit nehmen. Es gibt also eine gewisse Nähe zueinander. Wir nehmen alles als ok an.

Wie gehen Clowns mit den psychischen Krankheiten der Patient*innen um?

Sehr behutsam und offen. Manche Menschen erzählen uns auch ganz offen über ihre Krankheit und die Hintergründe.

Äußern Patient*innen uns gegenüber realitätsferne Gedanken, Wahnvorstellungen oder fixe Ideen, dann lassen wir das zu, bestätigen diese natürlich nicht, wir wollen das keinesfalls verstärken. Wenn wir aber etwas davon aufgreifen können, um es in ein clowneskes Spiel umzuwandeln, dann versuchen wir das. Wir möchten etwas Positives anbieten und Platz schaffen in den Gedanken dieser Menschen für einen schönen Moment, einen kleinen Zauber, den wir gemeinsam erleben können.

Was war dein bisher schönstes Erlebnis bei den Besuchen auf den psychiatrischen Stationen?

Die Besuche auf den psychiatrischen Stationen sind etwas ganz Besonderes und ich mache das wahnsinnig gerne. Ich durfte schon sehr viele schöne Begegnungen und Situationen miterleben.

Aber ein Erlebnis ist mir besonders in Erinnerung geblieben: Es gab eine Dame, die wegen Depressionen sehr lange auf der Station war. Als wir sie das erste Mal besuchen wollten, war sie sehr ablehnend. Das haben wir natürlich akzeptiert und uns freundlich wieder verabschiedet. Wir haben aber metaphorisch „die Tür offengelassen“. Sie konnte uns jeder Zeit das Signal geben, dass sie Interesse an einer Interaktion hat. Es ist ganz wichtig in unserer Arbeit, Ablehnungen positiv anzunehmen.

Als wir das nächste Mal auf der Station waren, schaute uns die Dame auf einmal neugierig nach. Sie hatte wohl mitbekommen, dass ihre Mitpatient*innen die Zeit mit uns sichtlich genossen haben. Bei einem der nächsten Einsätze geschah etwas Wunderschönes: Die Dame stand extra aus dem Bett auf, machte sich fein und kam tatsächlich zu uns. Das ist bei Depressionen wirklich keine Selbstverständlichkeit. Auch das Pflegepersonal berichtete uns, dass das ein wahnsinnig gutes Zeichen ist. Das war ein totales Erfolgserlebnis.

Damit war das Eis gebrochen. Die Dame erzählte uns, dass sie leidenschaftliche Sängerin ist und früher in einem Chor war. Wir machen generell sehr viel mit Musik und Gesang, weil es ein emotionales Transportmittel ist und viel bewegen kann.  Sie hatte immer wieder Liederwünsche, die wir ihr natürlich gerne erfüllten – soweit wir diese Lieder kannten. Schon bald begann sie in unseren Gesang miteinzustimmen. Ab dem Moment sangen wir regelmäßig gemeinsam. Die Interaktion mit ihr wurde etwas ganz Besonderes.

Nach einiger Zeit ging es ihr glücklicherweise deutlich besser und sie konnte die Station verlassen. Sie verabschiedete sich mit den Worten: „Ich werde das Singen vermissen“.

Ein paar Monate später fand der ROTE NASEN Tag am Wiener Stephansplatz statt. Mein Kollege und ich, mit dem ich sie auch damals besucht hatte, waren auch an dem Tag als Duo unterwegs. Auf einmal kam diese Frau freudig auf uns zu. Sie hatte von dem ROTE NASEN Tag gehört und gehofft, uns hier anzutreffen und hatte ein Geschenk für uns dabei: ein österreichisches Liederbuch zur Erinnerung an unsere gemeinsame Zeit. Das war definitiv eines meiner schönsten Erlebnisse.

Es ist sehr berührend für uns, wenn die Interaktion anfangs herausfordernd ist und dann zu so wunderschönen Begegnungen führt.

*Die Fotos in diesem Beitrag sind Archiv-Fotos und vor dem Ausbruch der Covid-19 Pandemie entstanden. ROTE NASEN halten sich an alle gesetzlich vorgeschriebenen Abstands-, und Hygienebestimmungen.

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