Flora und Ritter Wilfried
- Clowns im Einsatz
... das ist der Ort, in dem Menschen ihre letzte Lebenszeit verbringen können, wenn eine Pflege zu Hause nicht mehr möglich ist. Mit ihren Besuchen ermöglichen ROTE NASEN Clowns eine kleine Pause von Sorgen oder Schmerzen. Sie begegnen den Menschen ganz individuell, mit Respekt und Einfühlungsvermögen. Und auch, wenn keine Heilung mehr zu erwarten ist, versuchen sie, die letzten Monate, Wochen oder Tage im Leben der Patienten liebe- und humorvoll zu begleiten.
Andrea B. Schramek alias Clownin Flora erzählt von ihren Erlebnissen…
Unterwegs mit Flora
Flora und das freche Himmels-Einhorn, Fauna, kommen jede Woche ins Hospiz zu Besuch und sie kommen gerne, denn das Hospiz ist zwar ein Ort des Ablebens, aber ein sehr liebevoller – und einer, wo das, noch zu verbleibende, Leben auch noch gefeiert werden darf, so gut es eben geht.
Fauna, das Einhorn lebt ja zwischen der sichtbaren und unsichtbaren Welt und kennt sich daher gut aus mit dem „Hinübergehen“. Wenn beim Eingang die große, weiße Kerze brennt, dann wissen die Clowns, dass jemand verstorben ist. Sie machen in diesem Fall keinen Lärm am Gang und sind darauf vorbereitet, auf Menschen zu treffen, die sehr traurig sind: Angehörige, aber auch freiwillige Hospiz-Helfer*innen, die hier regelmäßig Menschen mit Gesprächen und liebevoller Aufmerksamkeit zur Seite stehen, und auch die Schwestern und Pfleger*innen selbst. Eine ganz besondere Stimmung herrscht dann auf der Station.
Floras Begegnung mit Ritter Wilfried
Als Flora heute die Station betritt, sitzt die Stationsschwester über ihren Akten und Tabellen. „Wie geht es Wilfried?“, fragt Flora. „Zunehmend schlecht. Aber wir haben ihm jetzt den Computer organisiert, durch den er mittels Augensteuerung kommunizieren kann. Flora ist begeistert! „Aber ich weiß nicht, ob er so gerne Besuch von Clowns in seinem Zimmer hat.“, fügt die Stationsschwester hinzu.
Seit Wochen ist Wilfried auf der Station. Flora weiß, dass er Musik mag, weil er früher in einem Chor gesungen hat. Wilfried hat bisher, bei Begegnungen am Gang, immer freundlich gelächelt, aber mit ihm zu kommunizieren, war schwierig. Er hatte nach Worten gerungen, die einfach nicht mehr aus seinem Mund kommen wollten. Wilfried hat nämlich Amyotrope Lateralsclerose. Das ist die Krankheit, die der Astrophysiker Stephen Hawkins hatte. Man wird langsam gelähmt und die Muskeln werden so rasch abgebaut, dass die Erkrankten bald sehr dünn, schlaff und stumm in ihren Betten liegen, während der Geist völlig intakt bleibt. Wilfried ist Mitte 40 und war schon vor 9 Jahren erkrankt. Seine Partnerin, Astrid, hat ihn all die Jahre liebevoll umsorgt, was ihre ganze Kraft brauchte. Auch jetzt kommt Astrid fast jeden Abend zu Wilfried und darf auch das Wochenende mit ihm verbringen und Flora kennt auch sie.
„Jetzt, wo er mit mir kommunizieren kann, würde ich es gerne versuchen.“, sagt Flora leise. „Gut. Versuche es!“, sagt die Stationsschwester zuversichtlich. „Vorwärts!“, flüstert Fauna mit hoher und krächzender Stimme.
Die Mutprobe
Als Fauna und Flora in Wilfrieds Zimmer blicken, ist dieser ziemlich überrascht. „Verzeiht, Ritter Wilfried! Ich bin von den Socken! Ich habe gerade gehört, es gibt nicht nur einen Georgs-Orden, einen Samariter-Orden, oder einen Drachen-Orden, es gibt auch einen Wilfrieds-Ritter-Orden! Der ist natürlich nur für ganz auserwählte Menschen. Ich weiß, für jeden Ritterorden muss man eine Mutprobe bestehen. Und hier, habe ich gehört, besteht die Mutprobe darin, einem Ritter, der Clowns überhaupt nicht leiden kann, ein Lied vorzusingen. Das ist ein ziemlich waghalsiges Unterfangen, denn jeden Augenblick kann man den Löwen zum Fraß vorgeworfen werden. Aber ich bin zu allem bereit!“
Wilfrieds erschrecktes Erstaunen ist inzwischen einem sanften Lächeln gewichen, das Flora nicht entgeht. Sie darf das Zimmer betreten. Dann fällt ihr Blick auf den Computer, der an Wilfrieds Bett steht.
„Oh! Ritter Wilfried!!! Ihr habt einen High-Tech-Galaxien-Kommunikations-Verbindungs-Apparat?!! Wie großartig! Ich habe schon viel davon gehört!“ Wilfrieds freundliche, braune Augen strahlen. „Könnt ihr damit schreiben?“ Wilfried lächelt sanft und sucht mit den Augen nach der Buchstabenreihe, fixiert einzelne davon und siehe da – auf dem Bildschirm wird ein Wort geschrieben: „Ja!“.
„Das ist wundervoll!“, sagt Flora und ist zugleich berührt, denn auf dem Bildschirm steht auch schon der Beginn eines Liebesbriefes, den Wilfried an seine Frau, Astrid schreibt. Flora wendet diskret ihren Blick wieder zu Wilfried. „Also, darf ich es versuchen? Die Mutprobe?“. Wilfried lächelt wieder. „Ja“ blink es erneut auf dem Bildschirm.
"Ich singe dir das Lied von dem berühmtesten Ritter, das ich kenne. Er hat gegen Windmühlen gekämpft, aber vor allem an die Liebe geglaubt. So wie du! Kennst du Don Quijote?“ Wieder schreibt Wilfried „Natürlich“ mit seinen Augen. „Also!“, sagt Flora und beginnt zu singen: „Er träumt, den unmöglichen Traum, ...“ „Da sieht sie, dass sich Wilfrieds Augen mit einer Träne füllen. Flora weiß in der Sekunde, dass Wilfried nicht weinen darf. Denn wenn er weint, bekommt er nicht gut Luft. Darum sagt Fauna, das Einhorn blitzschnell „Geh pfui! Flora blickt das Einhorn an. „Was sagst du da?“ „Pfui! Gefällt mir gar nicht! Gilt es auch als Mutprobe, wenn ICH ein Lied singe? „Du?“ „Ich finde, das ist noch viel „mutigererer“, denn ich habe noch nie gesungen.“, sagt Fauna. „Noch nie?! Ja, das ist dann natürlich schon eine Mutprobe. Was meinst du Wilfried? Du hast ja selbst viel gesungen...“ Wilfried Augen zwinkern ein „ja“.
Da öffnet Fauna, das Einhorn, sein Maul und beginnt mit krächzender Stimme zu singen. Es ist das allerdümmste Lied, das einem Einhorn und auch einem Clowndoctor einfallen kann. Es ist von Helge Schneider und heißt. „Fitze Fitze Fatze “. Die Träne in Wilfrieds Auge verschwindet sofort und er lächelt wieder. Uff. Das war knapp... „Na, hab ICH die Mutprobe bestanden??!“, fragt Fauna. „Bestanden“, schreibt Wilfried. „Hurraaah! ...Bussi! Bussi! Ich hab dich sooo lieb!“ Fauna springt fröhlich auf und ab. Wilfried, das fühlt Flora genau, ist wieder ein wenig traurig. Für einen kurzen Augenblick, legt sie ihre Hand auf die dünne, schlaffe Hand, die auf dem Bett neben seinem Körper liegt. „Danke, dass wir dich besuchen durften.“
Als Flora die Türe leise schließt, sagt sie zu Fauna: „Ich weiß nicht, warum ich auf den Ritter gekommen bin. Vielleicht, weil diese Krankheit wie eine Rüstung ist... Wir haben ihn traurig gemacht.“ Da gibt Fauna Flora ein Busserl auf die Wange. „Er wird bald sterben. Das IST sehr traurig! Lachen und Weinen sind manchmal sehr nah beisammen... Und hier im Hospiz darf liebevoll alles sein, was menschlich ist.“ „Du bist ein schräges, aber weises Einhorn“, sagt Flora. „Fitze fitze...“
Als Flora und Fauna, ein paar Wochen später wiederkommen, brennt am Gang die weiße Kerze... Flora erfährt von der Stationsschwester, dass Wilfried verstorben ist. Dann fügt sie hinzu: „Tageshospiz wartet eine neue Patientin, die sich auf Rote Nasen-Besuch freut.“ Flora atmet kurz tief durch und als sie den Aufenthaltsraum betritt, singt Fauna „Ein bisschen Tratschen tut immer gut. Da wird es jedem wieder leicht zumut.“