Emergency Smile International: Clowns an den europäischen Außengrenzen
- ROTE NASEN Interviews
Evamaria Freinberger, Head of Mission eines Emergency Smile Einsatzes in Nordgriechenland, begleitete fünf Clowns bei ihrem dreiwöchigen Einsatz in einem Flüchtlingscamp. Im Folgenden berichtet sie über ihre Erfahrungen vor Ort.
Ein fünfjähriger Junge aus Afghanistan ist zu früh dran, viel zu früh! Sonst ist noch niemand da und der Auftritt der Clowns erst in einer halben Stunde. Ich bin gerade dabei, das Bühnenbild fertig aufzubauen: ein weißes Dreiecks-Segel und eine lange Wimpelkette symbolisieren unser Zirkuszelt. Es ist der vorletzte Tag des dreiwöchigen Einsatzes und unser Ruf eilt uns offenbar voraus, denn der Bub kann es kaum erwarten. Als ich gerade den letzten Kabelbinder festzurre, tippt er mich an und sagt mit bebender Stimme „I am so excited!!!“ Von den unzähligen Begegnungen der vergangenen Wochen war dies eine der berührendsten, denn der Kleine kannte uns allein aus Erzählungen: Woher kommt dieser naive Vertrauensvorschuss, womit haben wir die freudige Aufregung verdient, die mir aus leuchtenden Augen entgegenbrandet, noch bevor es überhaupt losgeht? Das Kind hat nie zuvor einen Clown gesehen, und doch spürt es eine Magie, die nicht gänzlich in Worte gefasst werden kann. Ich will es dennoch versuchen.
Von 23. September bis 16. Oktober war ich mit fünf Clown*innen im Flüchtlingscamp „Nea Kavala“ in Nordgriechenland. Das Lager besteht seit 2016 und ist vor kurzem vom Status „temporär“ zur „long term accomodation site“ aufgerüstet worden. Wo sich zuvor ein Wildwuchs an Behausungen auf dem Gelände eines ehemaligen Militärflughafens ausgebreitet hat, werden seit Mai 2021 bis zu 2.000 Menschen in neuer und rigider Struktur untergebracht.
Was aber haben nun Clowns in einem Flüchtlingscamp zu suchen? Was tun sie dort wochenlang? Und wie bringt man Freude an einen Ort, der nicht existieren sollte?
EINE CLOWNSHOW
Am Anfang steht die Show. In der Vorbereitungswoche erarbeiteten die Clowns gemeinsam ein Stück, um Clownerie in ihrer Urform zu zeigen. Die Bühne wird stets an Ort und Stelle improvisiert; es muss also mit minimaler Ausstattung spielbar sein und möglichst wenig gesprochene Sprache beinhalten. Jeder der fünf Clowns brachte die Fähigkeiten und Charakterzüge der eigenen Figur ein, aus einer Improvisation heraus wurden Ideen angepasst, eine halbstündige Performance entwickelt. Die Zutatenliste besteht aus den Clowns selbst, ihren Beziehungen zueinander, viel Musikalität und einem roten Koffer voller Requisiten. Die Handlung ist einfach: Fünf Clowns suchen nach dem Weg. Im Gänsemarsch mit Melodie kommen sie an und fragen sich gegenseitig „which way?“. Die Gruppenhierarchie ist idiotensicher; bis auf einen kennen alle ihren Platz und reihen sich nebeneinander auf. Neben dem Minor (niedrigster Status, brillant besetzt durch unseren einzigen männlichen Clown) gab es zwei rivalisierende Schwestern, eine konfuse Zauberin und eine Frontfrau mit umwerfender Singstimme. Über aller Handlung liegt Rhythmus und vertonte Komik. Mit großer Virtuosität bauten die Clowns alle Zirkusdisziplinen ein, die die Kinder später selbst lernen sollten. Die Verbindung zum Leben als Geflüchtete liegt in der Geschichte, denn die Frage nach dem richtigen Weg zieht sich hindurch und führt die fünf Gestalten zum magischen Tor: ein Hulahoop. Nacheinander blicken die Clowns hindurch und entdecken staunend die Welt des Publikums. Auf diese Art und Weise wurde die unwirtliche Lagerumgebung zu etwas Wundersamen und Einzigartigen erhoben. Nacheinander hüpfen oder kullern oder zwängen sich die Clowns durch den Reifen. Schlussendlich verlassen sie die Szenerie langsam und melodisch und winken zum Abschied.
PARADEN
Eine weitere wichtige Möglichkeit, die Bewohner*innen als Clowns kennenzulernen bieten Paraden. Mit Instrumenten und Gesang und immer von einer Traube Kindern begleitet, bewegen sich die Clowns durch das Camp und begrüßen alle und jede*n – von der alten Dame bis zum Neugeborenen. Hin und wieder hält die Parade für ein gemeinsames Spiel an, dann setzt sie sich wieder in Bewegung, sodass auch alle Aid workers und der Friseur erfahren: Der Zirkus ist in der Stadt!
KINDERZIRKUS
Während eine Tageshälfte der puren Clownerie gewidmet war, nutzten wir meist den zweiten Teil des Tages für Aktivitäten ohne Nase. Dazu gehören Workshops für Kinder und Erwachsene. Die Kinder hatten wir ohnehin auf unserer Seite – wir konnten uns des Ansturms der ersten Tage kaum erwehren, als die meisten erst noch verstehen mussten, dass die Clowns nun jeden Tag da sein würden. Es war ein täglicher Tumult, den fünf- bis zwölfjährigen die verschiedensten Zirkusübungen nahe zu bringen. Neben gemeinschaftsbildenden Spielen standen Jonglage, Akrobatik, Tellerdrehen und das Erlernen einer Choreografie auf dem Programm. Hierbei liegt der Unterschied zu herkömmlicher Zirkuspädagogik in der clownesken Haltung: Auch wenn sie nicht im Kostüm auftreten, schaffen die Clown*innen stets eine spielerische und einladende Atmosphäre ohne Befehlston oder gar Bestrafung. Die Community-Dolmetscher*innen konnten unserer Art der Kommunikation nicht durchgehend gerecht werden, manch einer brüllte unsere liebevoll gemeinten Einladungen heraus, als stünde er auf einem Fußballfeld. Mit der Zeit aber haben alle gelernt: Es geht weniger darum, WAS du tust oder ob du es fehlerlos kannst, sondern vielmehr darum, dass und vor allem WIE du es tust.
Am besten beschrieb es wohl der Mann, der eines Tages vorbeikam, den Trubel eine Weile beobachtete und sich bei mir für unsere wertvolle Arbeit bedankte. Als ich nachfragte, sagte er: „You treat the children differently because you try to be like them. And they can feel that.
HUMORWORKSHOPS
Beim Clownen geht es nicht immer darum, jemanden zum Lachen zu bringen. Zuallererst versucht clown, Verbindung zum anderen herzustellen und sie mit Emotion zu füllen. Bei den sogenannten „Humour Relief Workshops“ stellen die Künstler*innen genau dieses Wissen den Aid Workers zur Verfügung. Gerade in der humanitären Hilfe arbeiten viele Menschen, die vom stressigen Alltag mit viel menschlichem Leid und chronisch knappen Ressourcen abgehärtet sind. Umso wertvoller wird eine Gruppenerfahrung, wenn sie Spaß, gegenseitige Wertschätzung und Gefühle zulässt. Am schönsten empfand ich dabei folgendes: in Zweierpaaren machen sich die Kollegen jeweils drei Minuten lang Komplimente; zuerst eine*r, dann der/die andere. Drei volle Minuten zuhören ohne ein Kompliment sofort zurückzugeben sind sehr, sehr lang und können unangenehm sein – vor allem, wenn man aus einem „gebenden“ Berufsfeld kommt. Selbst einem der großen, muskulösen Security-Mitarbeiter kamen bei dieser Übung die Tränen.
GRANDE FINALE
Der Abschied von Nea Kavala war fulminant. Mit vollen Herzen und im stürmischsten Weltuntergangswetter strömten alle zusammen, für die wir drei Wochen lang da gewesen waren. Am letzten Tag jedoch waren sie für uns da, die Rollen verschwammen im Regen: Geflüchtete, Aid Workers, Clowns, Kinder, Dolmetscher und Hunde versammelten sich auf der improvisierten Bühne, um die gemeinsamen Erinnerungen der vergangenen Wochen noch einmal aufleben zu lassen. Es war eine heilsame Verabschiedung, trotz widrigster Umstände. Wir hatten unser Ziel erreicht, Menschen in Begegnung mit sich selbst und anderen zu bringen; Verbindung und Schönheit herzustellen. Am Ende konnten wir gehen, ohne ein emotionales Loch zu hinterlassen. Ich denke wir haben dort ein berührendes Kunststück vollbracht! Und ganz zweifellos werden die Kinder von Nea Kavala einander noch lange vom Zirkus erzählen – auf Farsi, Arabisch, Paschtu, Urdu, Französisch, Griechisch, Englisch oder Gibberish.
Danke an die fantastische Clowngruppe, die ich begleiten durfte, sowie die Finanzierung durch Alta Mane und RED NOSES International für diese Möglichkeit: Evamaria, Head of Mission.