Eine Gedenktafel für Frau Gruber
- Clowns im Einsatz
Ältere Menschen leiden meist unter der Einschränkung ihrer Mobilität, ihrer Erinnerung und Wahrnehmung. Die Clowns begegnen den Senior*innen ganz individuell, mit viel Respekt und Einfühlungsvermögen. Das weckt neue Lebensgeister, stärkt das Selbstbewusstsein und lässt Sorgen eine Zeit lang vergessen.
Clowin Lila Lotte erzählt von einem berührenden Erlebnis im Pflegewohnheim Aigner-Rollett am Rosenhain...
Es war wieder mal Montag...
und wir, die beiden besten Freundinnen, Madame Blume und Lila Lotte waren gerade fröhlich unterwegs zum Schwesternstützpunkt, als uns Frau Bauer* schon von Weitem mit ihrem Rollstuhl entgegen gefahren kam. Sie hatte schon auf uns gewartet. Und als sie näher kam, sahen wir, dass sie weinte. Unter Schluchzen erfuhren wir, dass ihre Zimmerkollegin im Sterben lag. Frau Bauer war verzweifelt und wünschte sich so sehr, dass wir noch einmal alle vier gemeinsam singen würden: Frau Gruber*, Frau Bauer, Madam Blume und Lila Lotte.
Wir sahen uns kurz an. Wenn der Mensch am Ende seines Sterbeprozesses und damit bereits im Frieden mit dem Abschied vom Leben ist, kann es ein ganz besonderes Geschenk sein, wenn die Clowns noch einmal auf Besuch kommen. Da kann ein ganz besonderer Moment entstehen. Fein und zart begegnet dann der Tod dem Leben und umgekehrt. Außenstehende können diese Begegnung manchmal nicht nachvollziehen, weil sie den Zauber zwischen dem Clown und dem Menschen, der gerade dabei ist, die Welt zu verlassen von außen nicht spüren können. So braucht es ganz viel Feingefühl zu spüren, ob ein Besuch der Clowns in dieser Situation passend ist oder nicht.
Weil Frau Bauer so aufgelöst war und wir spürten wie wichtig es für sie ist, entschlossen wir uns ins Zimmer zu schauen und dort zu entscheiden ob wir bleiben und singen würden oder nicht.
Frau Bauer fuhr schluchzend vor uns her und brachte uns ins gemeinsame Zimmer, in dem Frau Gruber lag. Sie wurde mit Sauerstoff versorgt und zeigte zuerst keine deutliche Reaktion. Die Stimmung war aber friedvoll und ruhig. Wir begrüßten Frau Gruber behutsam und sie blickte uns an und wir fragten, ob wir noch einmal für sie singen dürften und wir bekamen sofort ein schwaches Nicken. Frau Bauer bestand auf das Lied: "In die Berg bin i gern", weil es angeblich das Lieblingslied ihrer Zimmerkollegin war (und ich meine auch, weil wir es sonst auch immer gesungen hatten). Frau Gruber hatte ihren müden Blick auf uns gerichtet. Bei der zweiten Strophe lächelte sie und bei der dritten Strophe hatten wir das Gefühl, sie singt mit. Es war unglaublich berührend und wir sangen noch zwei weitere Lieder, bevor wir uns verabschiedeten. Wir verließen sie mit einem Lächeln auf den Lippen.
Als wir zu unserem nächsten Besuch ins Pflegewohnheim Aigner-Rollett am Rosenhain kamen war Frau Bauersehr traurig. Ihre Zimmernachbarin war gestorben und sie fühlte sich alleine und einsam. Wir sangen wieder mit ihr, weil ihr das immer so eine Freude machte. Am Ende bat sie uns, ob wir für sie nicht den Text des Lieblingsliedes von Frau Gruber besorgen könnten, sie würde das Lied so gerne als Erinnerung behalten.
Mich hat die ganze Geschichte so sehr berührt, dass ich mich Zuhause hinsetzte – es war gerade Weihnachten - und aus einem Liederbuch Noten und Text abschrieb und mit Buntstiften illustrierte. Ein Rotkehlchen, ein Fuchs, ein Murmeltier ein Schmetterling und natürlich Almrausch und Enzian umrahmten den Text. Ich rollte das Blatt ein, versah es mit einer goldenen Schleife und schrieb: „Für Frau Bauer von Lila Lotte“ drauf und gab die Rolle mit großer Vorfreude „in zivil“ am Schwesternstützpunkt ab.
Als wir das nächste Mal...
...nach Weihnachten Frau Bauer besuchten, platzte ich fast vor Neugier wie ihre Reaktion wohl sein würde und ich war mir sicher, dass sie das Bild mit dem Liedtext in ihrem Zimmer hängen hätte. Als wir ins Zimmer kamen scannte mein Blick die Wände. Da war nichts. Ich schaute auf den Nachttisch...da war auch nichts. Ich war verwundert. Hätte ich doch schwören können, dass für Frau Bauer das Bild etwas Besonderes war.
Vielleicht hat sie meinen suchenden Blick gesehen, oder auch nicht, auf jeden Fall sah ich plötzlich ein Blitzen in ihren Augen und sie kramte im Nachtkästchen und holte eine große Schachtel Mon Cheri heraus, die sie extra für uns besorgen hatte lassen. Als Dankeschön. Sie verglich das Bild mit einer prachtvollen Gedenktafel an ihre geliebte Zimmerkollegin. Immer wenn sie drauf blicke erinnert sie sich an die liebe Frau Gruber und an unser Singen zu viert. Und da hatte sie wieder Tränen in den Augen, weil sie so gerührt war.
Madame Blume konnte sich nicht länger zurückhalten und fragte wo denn die Gedenktafel sei, sie würde sie auch gerne sehen. Und dann lüftete Frau Bauer das Geheimnis: Sie nahm den Schlüssel, sperrte ihren Safe auf und da lag das Bild, feinsäuberlich eingerollt, mit goldener Schleife drauf. Im Safe, wie ein Schatz, damit es ihr ganz bestimmt nicht mehr abhanden kommen konnte.
*Die Namen wurden von der Redaktion geändert.